Auf Tour mit dem Kältebus der Berliner Stadtmission

© allesbrille
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Wenn die Nächte kälter werden, wird er unruhig. Dann gehen Steve Koch die Menschen, die auf den Straßen Berlins leben, nicht mehr aus dem Kopf. Unter den Brücken, in den U-Bahnschächten und in den Parks sieht er sie dann schlafen, viel zu viele sind es, eingehüllt in Schlafsäcke oder notdürftig zugedeckt mit Pappkartons.

Doch einfach nur die 030 690 333 690 zu wählen und den Kältebus der Berliner Stadtmission anzurufen, damit niemand erfriert – das reicht dem Inhaber von „AllesBrille“ in der Charlottenburger Otto-Suhr-Allee nicht. Und so hat Steve Koch der Berliner Stadtmission im Oktober 2021 einen Scheck über 1.200 Euro aus der Aktion #Changeyourperspective überreicht. Von Juli bis Dezember letzten Jahres legte er von jeder verkauften Brille zwei Euro beiseite, 1.108 Euro kamen so zusammen, den Rest rundete er auf. „Ich habe ein Superleben und genieße jeden Tag“, erklärt er. Und genau das treibt den 59-Jährigen an: Er will etwas zurückgeben und dazu beitragen, dass auch andere Menschen ein schönes oder zumindest ein besseres Leben haben.

Diesen Wunsch teilt er mit Oliver Stemmann, der schon seit mehr als zehn Jahren jede Woche ehrenamtlich den Kältebus der Berliner Stadtmission lenkt. Als er einmal als Gast eine Nacht lang im Kältebus mitfahren durfte, war es um ihn geschehen: „Wir haben um 3 Uhr morgens den Bus zurückgebracht und da lagen Menschen auf dem blanken Boden in der Notunterkunft Lehrter Straße und schliefen. Da weiß man erst, wie gut man es selbst hat“, sagt er. Und sofort war bei ihm der Wunsch da, auch ehrenamtlich tätig zu werden.

Gemeinsam mit anderen ehrenamtlich Tätigen, Student:innen oder Schulabsolvierenden, die ein Freiwilliges Soziales Jahr machen, fährt er seitdem nachts durch die Hauptstadt. „Ich genieße es, mit den jungen Leuten unterwegs zu sein, weil wir zusammen ein tolles Team sind“, weiß Oliver Stemmann. Entscheidungen werden gemeinsam getroffen, denn unterwegs, auf den Straßen Berlins, gibt es keine Hierarchie.

Schon bald ist Oliver Stemmann wieder auf Winter-Tour. Mit dem Geld von Steve Koch können Kaffee, Tee, Milch und Wasser, aber auch dringend benötigte Verbandsmaterialien gekauft werden. Im vergangenen Jahr fuhren als Teil der Kältehilfe vier Busse der Berliner Stadtmission durch die Hauptstadt. Sie versorgen Menschen, die auf der Straße leben, mit Suppe, bringen sie in Notunter- künfte und behandeln sie mit Verbänden und Medizin.

Oliver Stemmann fährt traditionell die Kältebusse eins oder zwei. Die sind unterwegs, um Menschen vor dem Erfrieren zu retten und bei Anruf im Kältehilfe-Callcenter unter 030 690 333 690 sofort zu reagieren. Oliver Stemmann sagt: „Allerdings befördern wir seit der Pandemie weniger Menschen und geben dafür mehr Schlafsäcke aus.“ Auch diese benötigt die Berliner Stadtmission dringend als Spenden.

Zusätzlich zu den beiden Kältebussen erweitert die barrierefreie Straßenambulanz die „Kältebus-Flotte“. Auch dieses große Gefährt kennt Oliver Stemmann gut: Denn wenn sich die Kältebusse im Sommer ausruhen, fährt er das Mediteam in der Straßenambulanz umher. Auch Menschen, die auf den Rollstuhl angewiesen sind, lassen sich darin geschützt behandeln. Andere ehrenamtlich Helfen- de waren während der Pandemie nachts mit dem Suppenbus unterwegs. Sie suchten schwerpunktmäßig einzelne Obdachlose an ihren Schlafplätzen auf, sahen nach ihnen, versorgten sie mit einem warmen Essen oder Tee.

Auch Fahrer Oliver Stemmann gibt Schlafsäcke aus. Oft denkt er dabei an eine bewegende Begegnung: „Wir wurden nachts zu ei-
nem Mann gerufen, der bei Minusgraden auf dem Gehweg vor einer Kneipe schlief. Ich hatte mich vor ihn gekniet, um ihm einen
Schlafsack und eine Isomatte zu geben. Da fiel er mir um den Hals, weinte Rotz und Wasser und umarmte mich lang.“ Geschichten
wie diese bewegen Steve Koch. Als Sohn einer Familie mit sechs Kindern weiß er, wie es ist, mit sehr wenig auskommen zu müssen.
„Wir hatten nie viel Geld, haben Obst und Gemüse selbst angebaut und wenn andere Kinder ins Freibad gingen, musste ich Unkraut
jäten“, erinnert er sich. Und während Mitschüler:innen nach Italien verreisten, fuhr der kleine Steve zur Oma oder zu Jugendfreizei-
ten für Kinder aus ärmeren Verhältnissen.  

All diese Erfahrungen haben ihn stark gemacht und kreativ. So denkt sich der Inhaber von „AllesBrille“ immer wieder neue Wohltätigkeitsaktionen aus: Einmal hat sein Bekannter Gunther Gabriel ein Konzert im Laden gegeben, die Einnahmen gingen an die Bahnhofsmission am Zoo. Dort werden aktuell bis zu 600 Menschen am Tag mit geschmierten Broten, Kaffee und Tee versorgt – wer mag, erhält Sozialberatung oder kann mit einer Psychologin sprechen. Gleich nebenan ist das Hygienecenter der Berliner Stadtmission. Obdachlose Menschen können dort kostenlos die Toilette benutzen oder duschen – saubere Unterhosen, Socken und T-Shirts inklusive. Gespendete Kleidung von Steve Koch war auch schon dabei. Und einem Geburtstag gab er das Motto „Spenden statt Geschenke“ und konnte so weitere Spenden sammeln. Doch Steve Koch wäre nicht er selbst, wenn er sich nicht schon wieder etwas Neues aus- denkt: „Was das ist, werden meine Kunden bald erfahren“, sagt er lachend. Mehr verraten will er nicht, außer: „Auch diese Aktion kommt natürlich wieder einer wohltätigen Einrichtung aus dem Kiez zugute.“

Neben dem Kältebus ist im Rahmen der Kältehilfe auch der Wärmebus im Winter nachts auf Berlins Straßen unterwegs. Beide ver- sorgen Menschen ohne Unterkunft und bringen sie, wenn sie das möchten, kostenfrei in Notunterkünfte. Auch die Berliner Sparkasse unterstützt die Busse der Stadtmission und des DRK seit Jahren. Einige Kolleginnen und Kollegen packen bei der Stadtmission auch gelegentlich selbst mit an, indem sie z. B. in der Notunterkunft unweit des Hauptbahnhofes abends und nachts in der Küche helfen und bei der Essensausgabe unterstützen

Text: Barbara Breuer, Pressesprecherin Berliner Stadtmission

Quelle: LUST AUF GUT, Republic of Culture, Berlin und drum herum, Ausgabe 207

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